PROZ, November 2024, S. 20/21
Orina Vogt
Wie entsteht ein Theaterstück? Das Junge Theater Basel nimmt sich in «Writers’ Room» keinen bereits bestehenden Text vor, sondern entwickelt ein Stück von Grund auf selbst. Die PROZ hat eine Probe besucht.
Für die einen ist es noch früh, für die anderen beginnt bereits der zweite Teil des Tages. Um 10.30 Uhr trudelt in der Kaserne langsam das Team von «Writers’ Room» ein, davon einige direkt aus dem Schulunterricht. Es ist ein überaus vielfältiges Ensemble, das der Leiter des Jungen Theaters Basel Uwe Heinrich zusammengestellt hat. Während wir warten, bis das Team vollständig ist, erklärt er mir, dass er bemüht ist, nicht nur Stimmen aus der gebildeten Mittelschicht Basels aufzunehmen, sondern auch solche, denen sonst wenig Gehör geschenkt wird. Das ist bei diesem Projekt besonders wichtig, in dem sich alles um die Frage dreht: Wie können sieben junge Menschen gemeinsam einen Text schreiben, ohne dabei ihre Individualität zu verlieren?
Bei null starten
Aber erst einmal zurück in den Proberaum, wo mittlerweile alle Schauspielerinnen und Schauspieler inklusive Sebastian Nübling (Regie), Lucien Haug (Text) und Jackie Poloni (Musik) eingetroffen sind und sich um die Bar versammelt haben. Nach einem kurzen Check-in wird es sportlich, alle wärmen sich bei einem Ballspiel gemeinsam auf. «Dieses Spiel fordert alles, was man braucht, um auf der Bühne zu improvisieren: Aufmerksam sein, Bälle annehmen und sich zuspielen, Fehler akzeptieren und weitermachen», erklärt mir Heinrich. Diese Dinge sind wichtig, da es sich bei «Writers’ Room» nicht um eine klassische Inszenierung eines fertigen Textes handelt. Fünf Wochen vor der Premiere weiss noch niemand, was am 12. November in der Reithalle der Kaserne passieren wird. «Wir starten alle bei null», formuliert es Nübling treffend. Und dann? Dann wird probiert.
Und das auf unterschiedliche Arten. An diesem Freitag improvisiert die Gruppe mit den Worten «Ich», «Du» und «Wir». Bereits in diesen drei Worten tut sich ein ganzes Universum zwischen Individualität und Gemeinschaft auf. Nachdem die Spielenden sich an diesen drei Worten abgearbeitet und ausser Puste gebracht haben, folgt eine etwas ruhigere Übung. Sie sollen gemeinsam einen Text zum Begriff «Zugehörigkeit» schreiben. Beim Schreiben, einer Tätigkeit, die man – wenn überhaupt – meist allein ausübt, liessen sich die Schwierigkeiten und Chancen von Zusammenarbeit gut erforschen, so Nübling. Der Text, der schlussendlich auf der Bühne landet, erarbeitet Haug gemeinsam mit dem Ensemble: «Ich schreibe etwas, dann wird ausprobiert, wieder verworfen, neu versucht und so weiter. Das wird kein Stück sein, das in einem Guss geschrieben werden kann.»
Ob das nicht manchmal frustrierend sei, frage ich das Leitungsteam. «Natürlich», meint Nübling. Der Regisseur arbeitet oft mit Stadttheaterensembles, «aber auch Erwachsene sind mal blockiert, schlecht drauf oder haben Zahnweh.» Dafür – so Poloni – lässt einen die Arbeit mit jungen Menschen auch immer wieder sich selbst hinterfragen.
Nach diesem intensiven Vormittag wird erst einmal zusammen gegessen. Über acht Wochen probt das Team hier fast täglich und wächst so zu einer einzigartigen Gruppe zusammen. Ob und wie diese Gruppe einen gemeinsamen Ausdruck finden kann, ohne die einzelnen Stimmen zu verlieren, werden wir am 12. November zu sehen bekommen.
Was bedeutet Gemeinschaft für dich?
Orina Vogt
Eine Umfrage bei den Ensemble-Mitgliedern des Jungen Theaters Basel.
Sabreen Alnahhal (25): «Sie ist wie der menschliche Körper. Er funktioniert nur, wenn alle Organe zusammen funktionieren.»
Anatol Bosshard (19): «Wenn der Zusammenhalt wichtiger wird als das Ziel. Es ist wie ein heisser Honigtee am Sonntagmorgen – ohne geht es nicht.»
Yuri Fasola (16): «Mit Menschen zusammen zu sein, bei denen ich Akzeptanz und Wärme empfinde.»
Sadam Hossain (17): «Wenn ich etwas allein nicht schaffen würde, aber mit der Energie der Gruppe schon.»
Paulina Grupp (20): «Wenn Menschen in unterschiedlichen Situationen zusammenkommen, kann das manchmal kompliziert und herausfordernd sein, ist aber lebensnotwendig.»
Ellen Walther (25): «Jedes Individuum in einer Gruppe mitzutragen und mitzudenken. Eine Art Solidaritätsprinzip, in dem alle so sein können, wie sie wollen.»
Lina Seiler (19): «Sie bedeutet Vertrauen. Es ist ein Raum, in dem alle Beteiligten Platz haben, aufeinander schauen und einander fördern.»
Junges Theater Basel, «Writers’ Room»: Premiere Di 12.11., 20 h, Reithalle der Kaserne Basel, www.jungestheaterbasel.ch