Musik mit scharfen Krallen

PROZ, September 2024, S. 17

Chrigel Fisch

Die Avantgarde-Band Zeal & Ardor trägt mit ihrem Album «Greif» eine Ur-Basler Figur auf die Bühnen der Welt.

Das vierte Album des Zeal & Ardor-Masterminds Manuel Gagneux und seinen fünf Gentlemen hat mehr Facetten als der Vogel Gryff Krallen hat. 14 Songs stark fächert sich das Album «Greif» auf, und wer da an Akte einer imaginären Soul-Metal-Oper denkt, liegt nicht ganz daneben. «Greif», inspiriert vom Basler Brauch des Vogel Gryff, gleicht einer stilistischen Protonenschleuder, die uns wild mit düsteren Bildern, spielerischen Melodien und knallhartem Sound eindeckt.

Zeal & Ardor war sieben Jahre lang das Solo-Projekt von Gagneux, eine Verschmelzung von afroamerikanischen Sklavenliedern und Gospelmusik im rassistischen Amerika der Sklavenzeit einerseits und der nihilistischen Düsternis des skandinavischen Black Metals andererseits. Fast über Nacht eroberte Gagneux mit seiner zusammengetrommelten Live-Band die Clubs der Welt. Das erste Album «Devil Is Fine» wurde 2017 zum erfrischendsten Kelch der Metal- und Rock-Saison. Heute sind Zeal & Ardor die wichtigste Basler Band. Im Frühling gewann sie fast logischerweise den Schweizer Musikpreis; zuvor zwei Mal den Basler Pop-Preis. Und das Duo, das die Doku über ihren kometenhaften Aufstieg gefilmt hatte, wurde ebenfalls im Frühling mit einem Baselbieter Kulturpreis ausgezeichnet.

Eine Aura aus alchemistischer, dunkler Magie, unterschwelliger Rebellion und brutal geerdetem Soul macht die Faszination der Musik von Zeal & Ardor aus. Gagneuxʼs ketzerische Worte haben Sprengkraft, denn die Musik baut auch eine Brücke zwischen den Ungerechtigkeiten von damals zu heute. 

Das neue Album ist das erste pure Band-Album. «Wir sind mit unserer Band im Prozess der Demokratisierung», sagte Gagneux zum britischen Musikmagazin Kerrang! «Dieser Schritt (die Studioarbeit mit der ganzen Band, Anm.) war ein markanter Teil dieses Prozess.» Der erste Song «the Bird, the Lion and the Wildkin» nimmt mit Trommeln die Stimmung des Vogel Gryff auf. Die starken Szenerien, die Gagneux entwirft, sind melancholisch und voller, nur knapp unterdrückter Wut. Wenn aber seine grosse Soulstimme einsetzt, kommt der Zauber des Lichts übers Wasser getanzt. «Es hat uns viele Jahre gebraucht, hierher zu kommen», singt er, «und wir kamen nicht allein.» Grosse Worte, grosser Zauber. 

Die Sinne schärfen

Was aber ist dieses Album wirklich? Einfach eine clevere Verknüpfung von altem Basler Brauchtum und «Gryphon vs. Arimaspi»-Fantasy? Ein «Greif in die Trickkiste» sozusagen? Sicher nicht. Es ist eine Einladung, hinter die Täuschungen der Welt zu schauen. Auf das, was wirklich passiert. Die Sinne zu schärfen. Denn es kommt eine Menge auf uns, die Nachfahren von Vogel Gryff und Wilde Maa, zu.

www.zealandardor.com

 

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