PROZ, Januar 2025, S. 8/9
Manuela Humbel
Im Januar startet in den Kinos der Spielfilm «September 5» über den Terroranschlag an den Olympischen Spielen 1972. Die PROZ hat mit dem Basler Regisseur Tim Fehlbaum über Medienethik und Sensationsgier gesprochen.
Wie haben Sie dieses schwierige Thema für Ihren Spielfilm umgesetzt?
Tim Fehlbaum: Wir haben zuerst breit zu diesem Ereignis recherchiert. Dabei haben wir herausgefunden, was für eine entscheidende Rolle die Medien an diesem Tag gespielt haben, was für ein Wendepunkt er in der Mediengeschichte gewesen ist.
Daraufhin konnten wir mit dem Augenzeugen Geoff Mason sprechen. Damals war er 28 Jahre alt und Moderator für ABC Sports. Da hatten wir zum ersten Mal die Idee, den Film rein aus dem Blickwinkel der Journalistinnen und Journalisten zu erzählen.
Was fasziniert Sie an diesem Blickwinkel?
Es ist interessant zu sehen, wie man damals das erste Mal auf ein Ereignis dieser Art im Live-Fernsehen reagiert hat. Es war nicht eine Gruppe von Menschen, die auf Krisenberichterstattung ausgebildet war, sondern eine Sport-Fernsehcrew. Diese musste einen Wechsel von der Olympia- zur Krisenberichterstattung vornehmen. Dadurch hatte sie einen schon fast unschuldigen Blick auf die grösseren medienethischen Fragen.
Ich glaube, obwohl sich die Technologie rasant verändert, sind die grösseren Fragen immer noch die gleichen: Kann man Gewalt im Live-Fernsehen zeigen? Wenn ja, in welcher Form zeigt man sie? Und wie schnell kann man eine Nachricht herauslassen, wie viele Quellen braucht man?
Was denken Sie, darf man Gewalt im Fernsehen zeigen?
Ich weiss nicht, ob es darauf eine einfache Antwort gibt. Es ist eine ziemlich komplexe Thematik. Wir versuchen auch im Film keine Antwort zu geben, aber er soll zur Reflexion anregen. Es gibt sicher Fälle, bei denen es etwas gebracht hat, Gewalt zu zeigen, um etwas in dieser Art für die Zukunft zu verhindern. Dann gibt es andere, bei denen es nur um Sensationsgier ging.
In Ihrem Film zeigen Sie auch Live-Aufnahmen. War es schwierig, bei dieser Thematik einen Mittelweg zwischen Sensation und Information zu finden?
Ja, absolut. In allen Phasen. Beim Drehbuch, beim Filmen bis hin zum Schnitt. Wir wollten nicht in die Falle geraten, dass wir das Thema ausbeuten. Unser Film ist ganz klar ein Film über die Personen hinter der Kamera, er soll nicht politisch sein. Aus Pietätsgründen zeigen wir keine Bilder von Personen, die an diesem Tag gestorben sind. Bei der Live-Übertragung damals ist es schlussendlich auch nicht dazu gekommen, dass Gewalt im Fernsehen gezeigt wurde. So haben wir es auch in unserem Film gehandhabt. Die Medienschaffenden in unserem Film sehen nichts, dass sie nicht hätten sehen können. In unserem Film geht es auch viel um das, was man nicht sieht.
Haben die Protagonistinnen und Protagonisten in Ihrem Film moralisch «gut» gehandelt?
Ich glaube, sie hatten keine Zeit, überhaupt über moralische Fragen nachzudenken. Ich glaube aber auch nicht, dass sie moralische Fehler gemacht haben. Im Gegenteil: Ich habe den höchsten Respekt vor der Arbeit, die sie geleistet haben.
Wie geht es für Sie nach dem Trubel um den Film weiter?
Es ist extrem komisch, wenn nach so einer Phase plötzlich nicht mehr viel los ist. Vor allem nach dem Drehen. Da bist du ständig unter Druck und voller Adrenalin, wenn das dann plötzlich fertig ist, fällst du komplett in ein Loch.
Was machen Sie, um da wieder rauszukommen?
Ich mache mir Gedanken über etwas Neues, ein neues Projekt. Oder ich schaue Filme, das mache ich am allerliebsten. Ich habe so eine Angewohnheit, dass ich Filme, die ich mag, bis zu fünf-, sechs Mal schaue. Für mich ist es immer ein gutes Zeichen, wenn ich einen Film schaue und dabei alles um mich herum vergesse.
Zum Film «September 5»
Der Spielfilm «September 5» handelt vom Terroranschlag an den Olympischen Spielen 1972 in München: Am frühen Morgen des 5. Septembers überfallen palästinensische Terroristen im olympischen Dorf das israelische Team. Es fallen Schüsse, mehrere Personen werden als Geiseln genommen, zwei sterben. Der US-amerikanische Fernsehsender ABC hört als einer der ersten davon. Er beginnt mit einer Live-Übertragung. Dabei stellen sich den Medienschaffenden immer wieder ethische Fragen: Wie sollen sie darüber berichten und was dürfen sie zeigen?
«September 5 – The Day Terror Went Live» läuft ab Do 9.1. in den Basler Kultkinos, www.kultkino.ch und in den Arena Cinemas Basel, www.arena.ch